Samstag, 24. Januar 2009
 
Ernesto Cardenal und Ortegas Rache PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Montag, 8. September 2008

Ernesto Cardenal, Nicaraguas greisem Dichterfürsten, der Ende September in Österreich auftreten soll, droht Gefängnis. Er weigert sich nämlich, eine Geldstrafe von umgerechnet 650 Euro zu zahlen, die im August wegen üblen Nachrufs über ihn verhängt wurde. Cardenal ist überzeugt, dass die Verurteilung von Präsident Daniel Ortega in Auftrag gegeben wurde.
Foto: Ralf Leonhard


„Das ist ein Racheakt Daniel Ortegas“, erklärte Cardenal in Managua. Denn er sei vor kurzem in Paraguay bei der Amtseinführung Präsident Fernando Lugos begeistert empfangen worden, „während er (Ortega) ausgeladen wurde“. Frauenorganisationen in Asunción hatten gegen den geplanten Auftritt des nicaraguanischen Präsidenten demonstriert. Der Vorwurf, er hätte seine Stieftochter seit deren 11. Lebensjahr jahrelang missbraucht, blieb bisher unwidersprochen. Da Ortega aber in Nicaragua Immunität genießt, wurde der Fall nie gerichtlich untersucht.

Cardenal nützte seinen Auftritt vor versammelten Staatschefs, um über seinen einstigen Revolutionskommandanten und dessen machtbewußte Ehefrau Rosario Murillo herzuziehen. Er warf ihnen Verrat an der Sandinistischen Revolution und die Errichtung einer Familiendiktatur vor. Diese Einschätzung wird in Nicaragua von den meisten Intellektuellen und einem zunehmenden Teil des sandinistischen Mittelbaus geteilt.

Kurz nach seiner Rückkehr nach Managua sah sich der 83jährige Poet plötzlich mit einem Urteil in einem Verfahren konfrontiert, in dem er vor drei Jahren bereits freigesprochen worden war. Es geht um einen alten Streit mit dem deutschen Staatsbürger Immanuel Zerger, der in den 1990er Jahren Nubia Arcia, die Witwe des ehemaligen Provinzchefs von Río San Juan, Alejandro Guevara, geehelicht hatte. Die Guevaras sind der mächtigste Clan der Inselgruppe Solentiname, wo einst Ernesto Cardenal seine befreiungstheologischen Thesen vor christlichen Basisgruppen entwickelt hatte. Alejandro Guevara, Veteran des Befreiungskampfes gegen die Somoza-Diktatur und naiver Maler, war einer der besonderen Schützlinge des Kulturministers der frühen 1980er Jahre.

Arcia und Zerger pachteten ein Hotel auf der Insel Mancarrón und zogen ein Tourismusunternehmen auf. Allerdings ging dort, so Cardenal, nicht alles mit rechten Dingen zu. Das Ehepaar hätte sich durch gefälschte Dokumente einer Insel bemächtigt. Es folgte ein langer Disput, bei dem sich keine der Streitparteien mit Ruhm bekleckerte. Immanuel Zerger versuchte schließlich, sich Cardenals Anschuldigungen mittels Richterspruch vom Hals zu schaffen. Cardenal wurde aber vor drei Jahren freigesprochen obwohl die Justiz schon damals unter dem starken Einfluß Daniel Ortegas stand.

Cardenal, der in Europa populärer ist, als in Nicaragua selbst, war 1988 als Kulturminister abgesetzt worden. Die Kulturpolitik unterstand forthin allein der damaligen und heutigen Präsidentengattin Rosario Murillo, die einen elitäreren Kulturbegriff pflegte und Dichterwerkstätten bei den Bauern und der Armee einstellte. Cardenal, der sich zurückzog, um sich dem Dichten und Holzschnitzen zu widmen, brach dann 1995 nach einem gescheiterten Reformversuch in der Sandinistischen Befreiungsfront mit FSLN-Chef Daniel Ortega.

Auch in der Opposition verstand es Ortega, seine Machtanteile zu wahren. In einem umstrittenen Pakt mit dem rechten Präsidenten Arnoldo Alemán, verschaffte er sich 1999 den Zugriff auf die Besetzungen im Justizapparat. Diesen Einfluß macht er sich immer wieder zunutze, wenn es darum geht, politische Rivalen kaltzustellen. Im vergangenen April suspendierten auch das deutsche BMZ und andere europäische Staaten die Budgethilfe an Nicaragua mit dem Hinweis auf die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz.

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